"Gott nahe zu sein ist gut für mich ..."  Psalm 73,28




Gott fürchten und lieben! Predigt über Jesaja 6,1-13 am Trinitatissonntag
In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Wissen wir noch, was Gottesfurcht ist? Furcht ist etwas anderes als Angst, schließt die Angst aber grundsätzlich nicht aus. Angst müssen wir nicht haben vor Gott. Nicht umsonst sagen die Engel immer wieder „Fürchtet euch nicht“; wenn Gott durch sie zu den Menschen spricht. Angst müssen wir nicht haben, aber Ehrfurcht. Ehrfurcht und Gottesfurcht gehören zusammen. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir beides in unserer Zeit mehr und mehr vergessen und verlieren, die Ehrfurcht und die Gottesfurcht. Das fängt im Kleinen an, zum Beispiel mit den Benimmregeln in einer Kirche. Gehört es sich, in Badelatschen, Shorts und einem Softeis in der Hand in ein Gotteshaus zu treten, nur, weil es in einem Urlaubsort steht? Muss man sich vor dem Gottesdienst laut scherzend unterhalten, bevor die Orgel die Unterhaltung stoppt? Haben wir noch ein Gefühl, ein Gespür für die Majestät und Erhabenheit Gottes, wenn wir beim Abendmahl an den Altar treten? Haben wir vergessen, dass Gott nicht einfach nur ein „lieber Gott“ ist, zu dem wir in Kindertagen einmal gebetet haben, sondern auch einen leidenschaftlicher, ein stürmischer, ein alles verzehrender Gott? Heute am Dreifaltigkeitssonntag bekommen wir eine Art Nachhilfeunterricht in Gottesfurcht durch den Propheten Jesaja. Seine Begegnung mit Gott war alles andere als schön und erbaulich oder gar lieblich. Sie war viel eher schrecklich und angsteinflößend. In einer Vision bei einem Besuch im Tempel hat Jesaja einen Blick vor den Thron Gottes wagen dürfen. Was er gesehen hat war beängstigend und verstörend.
„Ich sah den Herrn sitzen auf seinem Thron,“ erzählt der Prophet. Groß und erhaben war dieser Thron. Er hat nicht nur den Tempel gesprengt sondern auch alle realistischen Maße und Vorstellungen. Jedenfalls füllte allein schon der Saum seines Mantels den Tempel. Das übertrifft alles, was orientalische Herrscher wohl zu bieten hatten. Und so beschreibt Jesaja die Begegnung mit dem Gott seines Volkes, wie die Begegnung mit einem orientalischen Herrscher. Mit denen aber war nicht gut Kirschen essen. Vor denen durfte man nicht einmal aufrecht stehen. Man hatte sich zu beugen, am besten hinzuwerfen in den Staub. Man war ihnen ausgeliefert auf Gedeih und Verderb. Ich kann mir vorstellen, wie das Herz des Propheten Jesaja rast. Er sieht feurige Wesen vor dem Thron. Das klingt schon fast wie eine Szene aus einem Fantasystreifen. Serafim werden sie genannt. Engel sind sie, halb Mensch, halb Tier mit riesigen Flügeln. Zusammen mit den Cherubim, die nicht weniger gefährlich aussehen, gehören sie zum himmlischen Hofstaat. Gott zu loben ist ihr Amt. Und das tun sich auch in dieser Vision. „Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll,“  singen sie  „und  die Schwellen beben von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch“ – so beschreibt Jesaja die Szene. Sie wird immer unheimlicher. Denn der Rauch nimmt einem die Luft zum Atmen und den Blick zum Sehen. Wer weiß, was jetzt geschehen mag, welchen Wesen noch aus dem Nebel treten? Es ist wohl die Angst, die Jesaja aufschreien lässt: „wehe mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen: denn ich habe den Herrn der Heerscharen gesehen mit meinen Augen….“  Ich kann mir diesen Ruf nur als Angstschrei vorstellen, der sich jederzeit in einen Todesschrei verwandeln kann. Jesaja gehen die Augen auf und erkennt sich selbst und sein Volk. Heilig, heilig, heilig, ist der Herr Zebaoth, singen die Engel, dass die Festen des Tempels beben wie bei einem Erdbeben und nicht nur das Gemäuer bebt, sondern auch das Herz. Diesen heiligen Gott kann man nicht schauen, ohne zu sterben. Das hat Jesaja gelernt. Wenn der unheilige Mensch vor den heiligen Gott tritt, ist das so, wie wenn ein welkes, trockenes Blatt vom Baum in die Glut eines Feuers fällt -  es wird verzehrt. Heilig ist Gott, wie ein verzehrendes Feuer, in dessen Glut alles vergeht, was nicht heilig ist, der Mensch, das Volk, die Welt, die sich von diesem Gott schon lange abgewendet hat, die ihn vergessen hat. „Weh mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen!“ schreit Jesaja.
Wenn er doch nur geschwiegen hätte. Mit seinem Ruf hat er auf sich aufmerksam gemacht. Die Engelwesen entdecken ihn. Da scheint das Unglück seinen Lauf zu nehmen. Jesaja sieht, wie eine der feurigen Engel auf ihn zufliegt, mit einer glühenden Kohle in der Hand, die mit einer Zange er von dem Altar genommen hat. Im Nu ist er bei ihm und drückt ihn die glühende Kohle auf seinen Mund. Im Film würde die Kamera jetzt auf den Propheten zufahren und sein Gesicht großformatig auf die Leinwand holen. Die Zuschauer mit den schwachen Nerven würden jetzt wohl die Augen schließen, um sich den Anblick zu ersparen und nach kurzer Zeit erstaunt die Augen öffnen. Es ist ihm nichts geschehen, dem Jesaja. Und doch verändert sich etwas. Der Feuerengel erklärt ihm das. „Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei.“  So schimmert durch diese unheimliche Szene die Liebe Gottes, die kein Gefallen hat am Tod des Sünders.
Ist Gott ein furchtbarer Gott? Die beängstigende Vision sagt mir zunächst einmal, ja, Gott ist zu fürchten. Deshalb ist Ehrfurcht die angemessene Haltung. Gott ist zu fürchten. Gott lässt seiner nicht spotten, heißt es an anderer Stelle in der Heiligen Schrift. Gott ist zu fürchten, weil er heilig ist. Wie gut, dass wir heute an der Vision des Jesaja teilhaben. Heilig ist Gott und  mächtig. Gott übersteigt unsere Vorstellungen. Gott sprengt die Mauern des Tempels. Er sprengt auch die Mauern unseres Geistes und unserer Vorstellungskraft. Deswegen soll man ihn nicht einfangen, nicht mit Worten und auch nicht mit Bildern. „Alle Lande sind seiner Ehre voll,“ rufen die furchterregenden Engel. „Ehre sei Gott in der Höhe!“ singen die Engel vor den Hirten von Bethlehem – und auch die fürchten sich zunächst. Ehre! In der Hebräischen Sprache hat das Wort „Ehre“ mit „schwer sein“ zu tun. Gottes Ehre hat Gewicht. Gottes Macht ist grenzenlos.  Die Stimme des HERRN lässt Eichen wirbeln und reißt Wälder kahl. In seinem Tempel ruft alles: »Ehre!«  heißt es in einem Psalm. Die Vision des Jesaja weist uns den Platz an, den wir einnehmen vor Gott. Es ist der Platz des erschrockenen Propheten, der nicht anders kann, als zu rufen: „Weh mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen!“ Weh mir! Eine andere Haltung kann es nicht geben vor Gott als die des erschrockenen, armseligen Menschen, der seine Schuld erkennt und seinen Zustand beklagt. Weh mir! Was für eine Herausforderung an uns Menschen, die meinen, mit ihrer jämmerlichen Kraft könnten sie wie damals in Babel einen Turm bauen und den Himmel stürmen oder sie  könnten Gott ins Handwerk pfuschen und die Schöpfung verändern. „Weh mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen!“ Das ist die angemessene Haltung, die wir einnehmen, wenn wir vor Gott treten, die des erschrockenen Sünders.
Eine Frage hört der Prophet jetzt. Sie weht vom Altar zu ihm herüber: „Wer will unser Bote sein?“ Aus der unheimlichen Gottesbegegnung wird eine Berufung, eine Beauftragung. „Hier bin ich, sende mich!“ antwortet Jesaja – sicher immer noch mit klopfenden Herzen. So erhält er seinen Auftrag. Es ist nichts Gutes, was er seinem Volk verkünden soll. Er das Gericht ankündigen, die Katastrophe des Untergangs und  zugleich soll er zur Buße rufen
Es wird nicht erzählt, wie es dem Propheten nach dieser Vision ergangen ist, mit welchen Gefühlen er den Tempel verlassen hat, wahrscheinlich mit weichen Knien und bangem Herzen. Was für ein schwerer Auftrag. Wer möchte gern unangenehme Botschaften ausrichten. Ein Bote soll er werden, der Prophet. Auch wir sollen Boten Gottes sein. Was sollen wir sagen und wie sollen wir von Gott sprechen? Wenn wir von Gott sprechen, dann tut es uns gut, die Vision vom Thronsaal Gottes im Herzen zu bewahren. Aber nicht nur die. Die Vision heute hat in Erinnerung gerufen, was wir immer wieder gerne vergessen, Gott lässt seiner nicht spotten, Ehrfurcht ist die angemessene Haltung des Menschen, der vor Gott nicht bestehen kann. Es gibt aber nicht nur diese eine Vision. Gott hat sich den Menschen auch auf anderen Weisen zugewandt. Die heilsamste davon ist die Menschwerdung Jesu. Denken wir  an Jesus Christus und daran, wie er von Gott gesprochen hat. Da wird Gott zum Guten Hirten, der sich auf dem Weg macht, um zu suchen, was verloren ist. Jesus spricht von Gott als den Vater, der den verlorenen Sohn mit offenen Armen wieder aufnimmt. Wie die Kinder dürfen wir die Arme aussprechen und Gott Vater nennen, Abba, eigentlich heißt das Papa. Der Gott, den Jesaja im Thronsaal sieht, ist zugleich auch der Gott, zu dem wir Vater sagen dürfen und der sich uns freundlich und liebevoll zuwendet und uns Grund gibt, das erste Gebot im Sinn von Martin Luther zu befolgen.
„Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten und lieben und vertrauen“ schärft uns der Reformator im Kleinen Katechismus ein. Wir haben jetzt eine Ahnung bekommen, wie das gemeint ist. Und wir wissen durch diesen Jesus, warum wir Gott lieben können. Es ist nicht der Engel, mit der glühenden Kohle, der sich auf den Weg macht zu uns. Es ist der Tröster, der heilige Geist. Er berührt nicht unsere Lippen, sondern unser Herz und er öffnet uns die Augen  für Gott und die Lippen, damit wir in der rechten Weise von ihn sprechen und ihn loben können. Gott will uns heute nicht als  furchterregender, viel mehr als liebevoller Gott begegnen. Es ist der Glaube an den Auferstandenen, der die Angst und den Schrecken , den Horror, aus der Gottesfurcht filtert und sie zu dem macht, was sie sein will, eine aus dem Vertrauen und der Liebe gewonnen Haltung der Seele. Wenn wir ihm gegenübertreten wird es kein Weheruf mehr sein, wie beim Propheten Jesaja. Es wird eher ein Jubelruf, wie bei Maria Magdalena. Es ist der Herr, ruft sie aus und aus den Tränen der Trauer werden Tränen der Freude. „Mein Herr und mein Gott“, ruft Thomas, als er die Hand in die Wunde legt. Zur Ehrfurcht sind wir aufgerufen, die verwurzelt ist im Vertrauen und in der Liebe. Amen.