Offene Tore. Predigt über Psalm 24,1-10 am 1. Advent Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet. Wer darf auf des HERRN Berg gehen, und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lüge und nicht schwört zum Trug: der wird den Segen vom HERRN empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils. Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit. Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR Zebaoth; er ist der König der Ehre. Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. „Die Kirche ist offen, treten sie ein!“ Das steht auf der Tafel am Eingang unsrer Altensteiner Kirche. Die Einträge im Gästebuch unseres Gotteshauses lassen vermuten, dass viele dieser Einladung folgen. Einen Aufruf hören wir heute, die Türen des Gotteshauses weit zu öffnen. „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch…“ heißt es in unserem Psalm. Er war wohl der Impulsgeber zu dem bekannten Adventsschlager, den viele von uns gerne singen: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.“ Es geht also darum, im Advent die Türen weit zu öffnen, damit Gott einziehen kann. Ja, Gott will ankommen. Er will Einzug halten in seinem Tempel. Und er will ankommen bei uns, den Menschen. Ich glaube, darum geht es in diesem Psalm. Wenn Gott die Welt besucht, dann kommt er in sein Eigentum. Er muss nicht um Einlass bitten. Gleich am Anfang stellt das der Psalmbeter klar: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis, und die darauf wohnen.“ Alles gehört dem Herrn. Das ist Grund genug, ihn willkommen zu heißen mit Liedern und Gebeten. Das Volk Israel hat diesen Psalm gesungen und gebetet, um Gott in seinem Tempel zu begrüßen. Als Christ denke ich daran, was Paulus einmal über den Leib geschrieben hat. Er hat ihn als Tempel Gottes bezeichnet. Soll also mein Herz der Ort sein, in dem Gott ankommen will? Dann soll ich ihm mein Herz weit öffnen, dass er hereinkommt in mein Leben. Dann kann ich singen: „Komm, o mein Heiland, Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist, ach zieh mit deiner Gnade ein, dein Freundlichkeit auch uns erschein, dein Heilger Geist uns führ und leit, den Weg zu ew’gen Seligkeit, dem Namen dein o Herr, sei ewig Preis und Ehr.“ Gott will ankommen in meinem Leben. Tore können aber auch verschlossen bleiben, vor allem die Tore zum Herz des Menschen. Vielleicht hören wir deshalb diese Worte als Mahnung. Die Adventszeit mag uns zwar froh stimmen. Dennoch ist sie im Grunde eine stille Zeit, eine Zeit der Vorbereitung, der Zurüstung und der Buße. Kaum zu glauben, wenn man an den fröhlichen Lärm denkt, der von den Weihnachtsmärkten an unsere Ohren dringt. Unser Psalm beginnt mit einer Frage, die uns beunruhigen kann. „Wer darf auf des Herrn Berg gehen und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?“ Mit anderen Worten, wer darf vortreten zu Gott, wer darf ins Heiligtum gehen? Jetzt ist wieder der Tempel gemeint, das Gotteshaus. Wenn unser Herz der Tempel ist, wenn Gott Einzug halten will in unser Leben, müssten wir die Worte heute „umdrehen“ und nicht fragen, was ich tun muss, um in den Tempel eintreten zu können, sondern was Gott daran hindert, Einzug zu halten in unser Herz? Was hat dazu geführt, dass die Tür eben nicht offen sondern verschlossen ist? Da hilft der Psalm auch, eine Antwort zu finden. Lug und Trug haben das Herz unrein gemacht, die Seele hängt fest an Nichtigem, ist geblendet vom Glanz des irdischen, das doch keinen Bestand hat. Die Tür fällt ins Schloss, weil wir es nicht so ernst nehmen mit der Wahrheit, mit der Liebe, mit der Gerechtigkeit, wahrscheinlich, ohne es selbst zu merken. Um den Einlass geht es heute, um den Einlass ins Heiligtum. Wer darf auf des Herrn Berg gehen, fragt der Psalmbeter. Wer darf eintreten. Oder umgekehrt, bei wem kann Gott ankommen? Wir ahnen, dass die Antwort zu finden schwer wird. Lassen wir also den Kopf hängen? Vergessen wir die ganze Sache mit der Ankunft und trinken uns die Welt schön mit Punsch und Glühwein? Es ist ein Hinweis im Psalm, der mir Hoffnung macht. Wer wird den Segen empfangen, wird gefragt und die Antwort gleich dazu gegeben: „Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt, das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.“ Darum geht es und dazu will uns der Advent helfen. Er will uns beim Suchen helfen. Wir suchen sein Antlitz, wir fragen nach ihm, manchmal tun wir es bewusst, manchmal eher unbewusst. Die Kirche ist offen, lesen wir und treten ein in das Gotteshaus. Vielleicht treibt uns die Mischung aus Neugier und Sehnsucht, die uns eintreten lässt. Wir alle tragen in uns die Sehnsucht, dass unser Leben doch mehr sein muss als nur Arbeit und zwischendurch etwas Vergnügen. Wir alle tragen die Sehnsucht nach einem tiefen Sinn für uns und unser Leben. Was bringen wir alles mit, wenn wir das Gotteshaus betreten, Freude und Leid, Fragen und Zweifel und eine Portion Wunden an Leib und Seele, manche sind vernarbt, manche schmerzen noch. Wir kommen und wissen, dass die Zeit die Wunden nicht alle heilen kann und sehnen uns nach einem, dem das gelingen mag. Ihn suchen wir, manchmal mehr oder weniger bewusst, wenn wir die Stätten aufsuchen, von denen uns die Väter und Mütter gelehrt haben, dass sie heilig sind, dass man hier Gott nahe sein kann. So reihen wir uns ein in die Schar derer, die lange vor uns auf dem Weg waren. Als Suchende sind wir hier und hören, dass der längst gekommen ist, der uns das alles schenken kann. Im Evangelium haben wir gehört, wie er Einzug gehalten hat in die Heilige Stadt, in Jerusalem. „Hosianna, dem Sohn Davids“ haben die Menschen gerufen und mit Palmzweigen gewunken. „Hosianna" ist ein Jubelruf, der im Kern auch eine Bitte enthält. Wörtlich bedeutet „Hosianna“: Hilf doch! Und er ist gekommen um zu helfen. Buße, Umkehr, Besinnung und Vorfreude und Lebenslust müssen und brauchen sich nicht ausschließen. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eur’ Herz zum Tempel zubereit’,“ singen wir im bekannten Advdentslied. Wir sollen den Tempel schmücken, unser Herz bereiten. „Die Zweiglein der Gottseligkeit steckt auf mit Andacht Lust und Freud.“ Es ist das Vertrauen, dass uns über Buße und Umkehr nicht vergessen lässt, wie gut er es meint, der da kommt. „Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn…“ singen wir deshalb. Im Licht der Freudensonne sollen wir auf unser Leben schauen, das sich nach Heil und Gottseligkeit sehnt. Freude und Wonne, Heil und Leben und Seligkeit sind die Gaben, die uns der König bringen will. Sollte das nicht Grund genug sein, die Herzen weit zu öffnen, nicht nur im Advent, sondern an jedem Tag in meinem Leben? Eigentlich gibt es darauf nur eine Antwort. Es ist ein Ruf, der im Neuen Testament am Ende der Offenbarung des Johannes zu finden ist: Unser Herr kommt. Ja, komm, Herr Jesus. Amen. © Pfarrer Stefan Köttig, 3.12.2023
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