"Gott nahe zu sein ist gut für mich ..."  Psalm 73,28




Der Beistand, der Mut macht. Predigt über Johannes 16,5-15 zum Sonntag Exaudi
Jesus sagte zu seinen Jüngern: „…jetzt gehe ich zu dem, der mich beauftragt hat. Und keiner von euch fragt mich: ‚Wohin gehst du?‘ Vielmehr seid ihr traurig, weil ich das zu euch gesagt habe. Doch ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich fortgehe. Denn wenn ich nicht fortgehe, kommt der Beistand nicht zu euch. Aber wenn ich fortgehe, werde ich ihn zu euch senden. Wenn dann der Beistand kommt, wird er dieser Welt die Augen öffnen – für ihre Schuld, für die Gerechtigkeit und das Gericht. Ihre Schuld besteht darin, dass sie nicht an mich glauben. Die Gerechtigkeit zeigt sich darin, dass ich zum Vater gehe – dorthin, wo ihr mich nicht mehr sehen könnt. Das Gericht bedeutet, dass der Herrscher dieser Welt schon verurteilt ist. Ich habe euch noch vieles zu sagen, aber das könnt ihr jetzt nicht ertragen. Wenn dann der Beistand kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch helfen, die ganze Wahrheit zu verstehen. Denn was er sagt, stammt nicht von ihm selbst. Vielmehr sagt er das weiter, was er hört. Und er wird euch verkünden, was dann geschehen wird. Er wird meine Herrlichkeit sichtbar machen: Denn was er euch verkündet, empfängt er von mir. Alles, was der Vater hat, gehört auch mir. Deshalb habe ich gesagt: Was der Geist euch verkündet, empfängt er von mir.“ Basisbibel. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2023
Es gibt Worte, die lösen etwas aus bei mir, locken angenehme und manchmal auch unangenehme Erinnerungen aus dem Gedächtnis. Eines dieser Worte habe ich in unserem Abschnitt aus dem Johannesevangelium entdeckt. Es hat mich zurückversetzt in meine Zeit als Theologiestudent. Das ist also schon eine ganze Weile her. Es ist eine schöne Erinnerung, die dieses Wort in meinem Leben abgespeichert hat. Beistand. Das ist das Wort, an dem ich hängen geblieben bin. Es führt mich zurück an den Anfang meines Studiums und erinnert mich an eine wichtige mündliche Sprachprüfung im Fach neutestamentliches Griechisch. Da hab ich gelernt, was ein Beistand tun muss. Er muss nichts tun. Er muss nur dasein. Mein Beistand war eine Studienkollegin, die vor mir die Sprachprüfung abgelegt hatte. Alle anderen war schon fertig. Ich war der letzte an diesem Freitagabend. Wer möchte gerne an einem Freitagabend geprüft werden und dann noch in so einem Fach. Ich war nervös. Alle anderen aus meinem Kurs haben bestanden. Was, wenn ich der einzige bin, der nicht … Vielleicht hat man die ganz schweren Fragen extra für mich aufgehoben. Vielleicht wird der Text, den ich da mündlich übersetzen muss zu einer besonders schweren Stelle des Neuen Testaments gehören.  In dieser Situation hat mir mein Beistand geholfen. „Es war gar nicht so schwer,“ sagte die Studienkollegin, „die waren alle ganz freundlich…“ So haben wir uns unterhalten und ich habe gemerkt, wie gut mir das getan hat, nicht allein zu sein, jetzt in meiner Nervosität. Es hat mir gut getan, dass jemand da war, der mir geholfen hat, dieses Zeit zu überbrücken. Als dann die Tür aufging und ich reingerufen wurde, hat sie mir die Daumen gedrückt. „Ich warte auf dich, bis es rum ist“, sagte sie. Da habe ich begriffen, was ein Beistand leistet. Ein Beistand steht in einer schweren Situation bei. Das Dabeisein war dabei schon eine große Hilfe.
Heute hören, wie Jesus seinen Jüngern einen Beistand verspricht. „Ihr müsst die Zeit ohne mich nicht allein durchstehen“, sagt er ihnen sinngemäß. Einen Beistand hatten die Jünger dringend nötig. Was Jesus ihnen sagt, ist schwer verdaulich. „Ich gehe fort…“ hören sie von ihm. Den Jüngern wurde bei diesen Worten sicher flau im Magen. Jesus geht fort und sie müssen zurückbleiben. Das wird ihnen nicht gefallen haben. „Es ist gut für euch, dass ich gehe,“ sagte Jesus. Wie kannst du das sagen, möchte man da als Jünger antworten. Wie kannst du sagen, dass es gut ist, wenn du uns in dieser Welt zurücklässt? Aber genau das müssen sie jetzt aushalten. Der Weg Jesu muss ans Ziel kommen, sein Auftrag muss sich vollenden, die Welt will erlöst werden und mit der Welt die Menschen, die Angst haben in dieser Welt, Menschen, die leiden und sich nach einem Beistand sehnen, der ihnen nahe ist in ihrem Leid.
Der Beistand, den Jesus senden wird, hat aber auch bestimmte Aufgaben. Er ist Mutmacher, gewiss und Tröster, wohl wahr. Aber er ist auch unbequem. Der Wellt müssen die Augen geöffnet werden, sagt Jesus, die Welt muss endlich begreifen, in welchem Zustand sie sich befindet. Das wird der Beistand tun, den Jesus schickt. Er wird der Welt die Augen öffnen. Drei Begriffe verwendet Jesus, um den Zustand zu umschreiben, in dem sich die Welt befindet: Schuld, Gerechtigkeit, Gericht. Und Zusammenhänge wird er aufdecken. Da ist der Zusammenhang von Schuld und Unglaube. Es ist der Unglaube, die Verblendung, vielleicht auch die Selbstgerechtigkeit, durch die sich die Welt von Gott entfremdet hat. Sie glauben mir nicht, sagt Jesus. Sie glauben nicht an mich. Das ist die Schuld, die sich die Welt auflädt. Die Welt, das sind die Menschen, die unter einer unheilvollen Herrschaft stehen. Die bekommen die Jünger bald zu spüren. Nicht lange nach dieser Rede müssen sie mit ansehen, wie die Soldaten kommen, um Jesus zu verhaften.  Da geraten sie in Panik. Sie spüren den geballten Hass der Welt. Er nimmt Gestalt an in den Personen, in den Akteuren der Leidensgeschichte. Er nimmt Gestalt an in den Soldaten, die Jesus auspeitschen und verhöhnen. Er nimmt Gestalt an in den Vertretern des Hohen Rates, die einen Scheinprozess gegen Jesus führen. Er findet seinen Höhepunkt vor Pilatus. Er wird sichtbar und hörbar in den fanatisierten Massen, die die Fäuste ballen und für Jesus den Tod fordern. Da flüchten, die Jünger, allen voran Petrus. Das ist die Schuld der Welt, dass sie nicht an mich glauben, sagt Jesus und die Jünger werden sich daran erinnern, dass sie im entscheidenden Moment auch nicht geglaubt haben. Was aber soll daran gut sein? Es ist gut, dass ich diesen Wege, sagt Jesus den Jüngern. Er meint den Weg in das Leid, in die Einsamkeit des Todes am Kreuz. Es ist gut, weil sich jetzt das wahre Gericht vollzieht über den Herrscher der Welt, über den, der hinter allem steht, was den Jüngern Angst macht. Das ist der Teufel. Jetzt wird er entmachtet, in dem Augenblick, in dem  seine Macht seinen Höhepunkt zu erreichen scheint. Die Gerechtigkeit wird sich durchsetzen. Ich gehe zum Vater, dorthin, wo ihr mich nicht mehr sehen könnt, stellt Jesus fest. Der Weg Jesu, das ist die Gerechtigkeit, die den Menschen einen Ausweg anbietet, die Rettung und Heil bietet.

Ob die Jünger das alles verstanden haben? Ich glaube nicht, noch nicht. Es wird aber die Zeit kommen, in der sie verstehen werden. Der Beistand, den Jesus ihnen senden wird, wird ihnen alles erklären, wird ihnen die Augen öffnen. Jetzt sind sie noch nicht so weit. Jetzt bleiben sie hängen an dem Wort, das ihnen am meisten Angst macht: „Ich gehe…“ Sie bleiben hängen diesem Wort und verlieren sich an dem, was es bedeutet. Jesus geht fort und wir bleiben zurück, bedeutet es, allein in dieser Welt mit alle ihrer Bosheit, mit Verrat und Lug und Trug. Wie sollen wir da nur bestehen?  Doch das stimmt nicht. Sie sind ja nicht allein. Jesus verspricht ihnen einen Beistand. Der wird ihnen Mut machen, damit sie das Haus verlassen können, aus der Deckung gehen und den Mund aufmachen, damit sie fortsetzen können, was Jesus begonnen hat, damit sie dem Hass die Liebe, der Verlogenheit die Wahrheit, der Verzweiflung die Hoffnung in dieser Welt entgegensetzen können. Der Beistand sagt ihnen, was geschehen wird. Es ist der Geist Jesu, der in ihren Herzen wohnen will, um ihnen die Zusammenhänge zu erschließen, die sie von alleine nicht verstehen. Der Beistand will helfen, dass wir die Welt neu wahrnehmen, damit wir erkennen, was „die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,“ wie Paulus schreibt, und vor allem, was die Breite, die Länge, die Höhe und die Tiefe dieser Welt erfüllt, die Liebe Christi. Es geht um das Ausmaß der Liebe in ihrer Fülle.
Mir machen die Worte aus der Abschiedsrede Jesu Mut. Wir hören sie in einer Zwischenzeit. Ein wenig kommt sie mir vor wie damals vor der Prüfung, vor dem Gericht, an dem offenbar werden sollte, ob ich weiterkomme oder nicht. Aber nur ein wenig. Mir ist klar, dass man das eigentlich nicht vergleichen kann. Und doch - es  ist Zwischenzeit. Mit Christi Himmelfahrt ist die Osterzeit zu Ende  gegangen, aber Pfingsten ist noch nicht da. In dieser Zeit sollen wir lernen, hinter den Dingen die Länge und die Höhe und die Tiefe der Liebe Christi zu sehen. Es ist der Beistand, der uns die Augen für öffnet, um die Welt zu sehen, wie sie wirklich ist. Der Beistand ist da wie ein lieber Freund oder eine gute Freundin, der Beistand lässt mich in einer schweren Zeit nicht allein, wie auch immer sie aussieht. Wenn die Angst zu groß wird, legt der Beistand die Hand auf die Schulter oder auf mein Herz. Das beruhigt mich. Wenn die Angst zu groß wird, die Ratlosigkeit, der Frust, will mir der Beistand Mut machen und mich daran erinnern, dass die Welt keineswegs gottverlassen ist, dass die Würfel doch längst gefallen sind.
Wie gut das tut, einen Beistand in der Nähe zu wissen. Die Jünger haben das erfahren. Das hat sie froh gemacht. Der Beistand kommt. „Er wird euch alles lehren, was zu tun ist…“, sagt Jesus den Jüngern. Das ermöglicht Gelassenheit. Mit diesen Worten dürfen wir der Zukunft getrost entgegen sehen. Und wenn die Angst sich doch bemerkbar machen wird, wird uns der Beistand zuflüstern, hab keine Angst, du bist nicht allein auf der Welt. Manchmal schenkt er auch eine Erinnerung, an Situationen, wo wir Beistand erlebt haben. So wird das sein, flüstert der Beistand, nur noch viel besser. So kann man vertrauen. Ich glaube, die Jünger haben das geahnt, damals, als Jesus vor ihren Augen in der Wolke verschwunden ist. Jedenfalls sind sie frohen Mutes zurück nach Jerusalem gegangen. Was wir tun können, haben sie uns auch gezeigt. Sie haben gewartet und gebetet, gewiss mit einem fröhlichen Herzen. Amen.
© Pfarrer Stefan Köttig, 12.5.2024


Geduldsprobe? Predigt zum Fest Christi Himmelfahrt
Nach seinem Leiden zeigte Jesus sich seinen Jüngern immer wieder und bewies ihnen so, dass er lebt. 40 Tage lang erschien er ihnen und sprach zu ihnen über das Reich Gottes. Als Jesus wieder einmal bei den Aposteln war und mit ihnen aß, schärfte er ihnen ein: „Verlasst Jerusalem nicht! Wartet darauf, dass in Erfüllung geht, was der Vater versprochen hat. Ihr habt es ja schon von mir gehört: Johannes hat mit Wasser getauft. Aber ihr werdet in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden.“ Da fragten ihn die Versammelten: „Herr, wirst du dann die Herrschaft Gottes in Israel wieder aufrichten?“ Jesus antwortete: „Ihr braucht die Zeiten und Fristen nicht zu kennen. Mein Vater allein hat sie in seiner Vollmacht festgelegt. Aber wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr Kraft empfangen.Dann werdet ihr meine Zeugen sein – in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde.« Nach diesen Worten wurde er vor ihren Augen emporgehoben. Eine Wolke nahm ihn auf, und er verschwand. Die Apostel starrten wie gebannt zum Himmel und schauten ihm nach. Da standen plötzlich zwei weiß gekleidete Männer bei ihnen. Die sagten: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen – genauso wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.“ BasisBibel, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, 2023
„Geduld ist eine Tugend“, sagt der Volksmund. Was zeichnet einen geduldigen Menschen aus? Besonnenheit, Ruhe, Gelassenheit? Ist ein geduldiger Mensch einer, dem es nicht schwer fällt, zu warten? Dann gehöre ich definitiv nicht zu den geduldigen. Es gibt Sätze, die mag ich gar nicht. Zum Beispiel: „Die Lieferung ihres Paketes verzögert sich!“ Oder: „Wir müssen den vereinbarten Termin noch einmal um eine Woche verschieben!“ Heute hören wir, wie Jesus seinen Jüngern Geduld abverlangt. Sie sollen warten. „Wartet darauf, dass in Erfüllung geht, was der Vater versprochen hat!“ Gemeint ist der himmlische Vater. Der Vater Jesu. Warten! Was für eine Herausforderung für die Jünger und vielleicht auch für uns. Wir sollen warten. Vielleicht brauchen die Jünger noch diese Wartezeit, um nicht einem großen Irrtum zu erliegen. Vierzig Tage sind sie jetzt wieder mit Jesus vereint. Das erste Staunen über die Auferstehung hat sich gelegt. Immer wieder ist der Herr ihnen erschienen, hat mit ihnen gesprochen, mit ihnen gegessen und getrunken. Zuerst hatten sie Angst, dann kam die Freude und dann … die Gewohnheit. Ich glaube, irgendwie haben sich die Jünger daran gewöhnt, dass Jesus wieder bei ihnen war. Es war fast so wie vorher. Aber nur fast. Jesus kam und ging. Er war plötzlich da und dann wieder verschwunden. Wenn Thomas nicht selbst seine Wunden berührt hätte, könnte man meinen, sie würden alle halluzinieren. Aber so war es nicht. Er war wirklich bei ihnen. Vierzig Tage lang. Immer und immer wieder. Wie gesagt, m it der Zeit gewöhnt man sich an alles. Auch an die neue Art, wie Jesus kam und ging. Und das könnte der Irrtum sein, dem die Jünger vielleicht ausgesetzt waren. Es war der Irrtum zu glauben, also ob alles wieder so werden könnte, wie es einmal war.
Ich denke, diese vierzig Tage waren notwendig, um die Jünger vorzubereiten auf die Aufgabe, die nun auf sie wartet. Deshalb sollen sie nur ja nicht aus Jerusalem weggehen. Sie sollen beieinander bleiben und warten, weil noch etwas aussteht. Jesus spricht von einer besonderen Taufe, die sie bekommen sollen. „Ihr werdet mit dem Heiligen Geist getauft werden…“ sagt Jesus. Ich bin mir nicht so sicher, ob die Jünger damit etwas anfangen, ob sie sich darunter etwas vorstellen konnten. Vielleicht haben sie ja gut zugehört, wenn Jesus die Heilige Schrift ausgelegt hat. Vielleicht kannten sie ja die Geschichten vom König Saul, der in Verzückung geriet, als er bei den Propheten war. Verzückung ist ein anderes Wort für Ekstase. Saul hat mit den Propheten getanzt und gesungen und in fremden Sprachen gesprochen, weil Gottes Geist über sie alle gekommen war. Ob das gemeint war? Oder wird Jesus sie jetzt mit einer besonderen Kraft ausrüsten? „Herr, wirst du dann die Herrschaft Gottes in Israel wieder aufrichten,“ fragen sie deshalb? Bricht sie jetzt an, die Zeit, der sie so lange entgegen gefiebert haben? Die Zeit, in der endlich wieder gerechte Verhältnisse im Land herrschen, in der die Ungläubigen verjagt werden und Gottes Gesetz zur Geltung kommen wird, in der alles Leid und vielleicht sogar der Tod besiegt wird? Ist das damit gemeint? Die Jünger fangen sich mit diesen Gedankenspielen aber nur einen Tadel ein. So verstehe ich die Antwort, die Jesus  ihnen gibt. „Ihr braucht die Zeiten und Fristen nicht zu kennen, mein Vater hat sie festgelegt!“ Es bleibt dabei, die Jünger müssen sich in Geduld üben, beisammen bleiben und warten auf das, was kommt. Ich glaube, der Tadel war notwendig. Weil die Jünger eben Menschen waren wie du und ich. Sie können oder wollen nur in den Kategorien denken und glauben, die sie von klein auf gelernt haben. Dass etwas anderes, etwas viel größeres ansteht, das hat sie überfordert. Und deshalb müssen sie warten.
Vielleicht vergessen sie aber auch schnell, was sie gehört und gesehen haben. Denn, was jetzt geschieht, das ist wieder so eine Nummer, die sie nicht einordnen können, die so gar nicht in ihr Weltbild hineinpasst. Sie sehen, wie Jesus vor ihren Augen verschwindet. Nicht so, wie sonst, wo er einfach weg war und dann wieder auftaucht. Jetzt wird er von ein Wolke eingehüllt und zum Himmel empor getragen. Er wird ihren Augen entzogen und damit auch ihrer Verfügung. Sie können nicht mehr mit ihm in der gewohnten Art und Weise sprechen, essen, trinken. Sie können einfach mal was fragen, so wie gerade eben. So langsam ahnen sie, dass dieser Abschied anders ist, endgültig. Während sie so dastehen, sind da auf einmal zwei Männer in weißen Gewändern. Die sprechen sie an. Es sind Engel. Es so wie an Ostern. Wenn etwas geschieht, das über ihren Verstand geht, brauchen die Menschen jemanden, der ihnen das erklärt. Sie brauchen Engel, Boten Gottes. Die haben den Frauen erklärt, warum das Grab leer ist, das sie gerade aufsuchten. Und die erklären den  Jüngern jetzt auch, was sie nicht verstehen. Wahrscheinlich tun sie das in einen etwas rauerem Ton als bei den Frauen. Es sind halt Männer. „Ihr Männer aus Galiläa“,sagen die Engel. „Was steht ihr da und schaut nach oben? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen - genauso, wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.“
Gemeint ist wohl, dass sie  den  Blick nicht nach oben, sondern nach vielmehr nach vorn richten sollen. Denn sie haben einen Auftrag. Vielleicht erinnern sich die Jünger daran, als sie die Engel sehen. Jesus hat ihnen gesagt: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“  Jesus spricht von der Zeit der Kirche, die nun anbricht. Die frohe Botschaft vom Reich Gottes für alle Menschen soll hinausgetragen werden. Hinaus aus Jerusalem, hinaus aus dem Heiligen Land, hinaus in die ganze Welt. Das ist das Neue, das ganz und gar andere. Die Grenzen sollen fallen. Die Gute Nachricht gilt allen Menschen, Juden wie Heiden soll das Reich Gottes offen stehen. Das soll die Welt erfahren. Durch sie sollen sie das erfahren. Dazu werden sie ausgerüstet. Das hat Jesus gemeint, wenn vom Heiligen Geist spricht, mit dem sie getauft werden sollen.

Ich glaube, das ist unser Auftrag, den wir von den Jüngern geerbt haben. Wir sollen Zeugen sein in unserer Zeit, in unserer Umwelt. Nicht in Samaria und in Galiläa sollen wir die Botschaft hineintragen, sondern in unsere Umwelt, wir sollen sie den Menschen zusprechen, die hier leben, die Nachbarn und Freunde, die Kollegen, auch die Fremden, die unter uns sind. Es sind Menschen mit einer Sehnsucht im Herzen. Es ist die Sehnsucht nach dem Reich Gottes, nur, dass sie das vielleicht anders nennen, Gerechtigkeit, Frieden, Anerkennung, Wertschätzung. Es ist die Sehnsucht nach einem Leben ohne Angst, ohne Terror. Es ist die Sehnsucht, wahrgenommen zu werden als Mensch. Unser Auftrag ist es, diese Botschaft weiterzugeben an die Mitmenschen.  Ihr werdet wahrgenommen von diesem Gott, den Jesus verkündet hat. Und ihr seid eingeladen, im Reich Gottes zu leben. Jetzt ist die Zeit dafür. Die Jünger haben das spätestens am Pfingstfest begriffen, als sich erfüllt hat, was Jesus gesagt hatte.
Inzwischen sind gute zwei Jahrtausende vergangen. Aber der Auftrag ist geblieben. Wir sollen Zeugen sein. Und wir können Zeugen sein. Jesus lässt uns nicht allein zurück. Deshalb wurde er in eine Wolke aufgenommen. Die Wolke ist das Symbol der Nähe und Gegenwart Gottes. In einer Wolke ist Gott vor seinem Volk hergezogen. Aus einer Wolke hat Gott auf dem Berg der Verklärung zu den Jüngern gesprochen. In einer Wolke wird Jesus wiederkommen. Eine Wolke kann man nicht einfangen, nicht festhalten. Gott kann man nicht einfangen und festhalten. Und doch ist er da. Der Auferstandene entzieht sich unseren Blicken. Aber er ist da und er rüstet uns aus mit allem, was wir brauche, um seine Zeugen zu sein. Die Jünger haben das gespürt. Deshalb sind sie nicht traurig gewesen, als Jesus diesmal von ihnen genommen wurde. Frohen Herzens sind sie nach Jerusalem zurückgegangen und haben gewartet, dass sich erfüllen wird, was geschehen soll. Wie gut, dass sie geduldig waren. Sonst wäre die frohe Botschaft nicht bis zu uns gekommen. Und wir sollen sie weitergegeben. Dazu werden wir heute ermutigt. Auch, wenn wir dazu eine Portion Geduld nötig haben. Amen.
© Pfarrer Stefan Köttig, 9.5.2024



Des Christen Handwerk. Predigt über 2.Mose 32, 7 - 14 am Sonntag Rogate
Der Herr redete mit Mose auf dem Berg: „Geh, steig hinab! Denn dein Volk, das du aus Ägypten geführt hast, läuft ins Verderben. Schnell sind sie vom Weg abgewichen, den ich ihnen gewiesen habe. Sie haben sich ein goldenes Kalb gemacht und es angebetet. Sie haben ihm Opfer dargebracht und gerufen: Das sind deine Götter, Israel! Die haben dich aus Ägypten geführt. Weiter sagte der Herr: „Ich habe mir dieses Volk angesehen: Es ist ein halsstarriges Volk. Jetzt lass mich! Dennoch bin zornig auf dieses Volk und will es vernichten. Aber dich werde ich zu einem großen Volk machen. Mose aber beschwichtigte den Herrn, seinen Gott: Warum, Herr, lässt du dich vom Zorn hinreißen? Es ist doch dein Volk! Du hast es mit großer Kraft und starker Hand aus Ägypten geführt. Warum sollen die Ägypter sagen: „In böser Absicht hat er sie herausgeführt. Er wollte sie in den Bergen umbringen und vom Erdboden vernichten? Ändere doch deinen Beschluss, lass ab vom Zorn! Hab Mitleid und tu deinem Volk nichts Böses an! Erinnere dich an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel. Denn ihnen hast du mit einem Eid zugesichert: Ich will euch so viele Nachkommen geben wie Sterne am Himmel sind. Ihnen will ich das ganze Land geben, das ich euch versprochen habe. Sie sollen es für immer besitzen. Da hatte der Herr Mitleid mit seinem Volk. Das Böse, das er ihm angedroht hatte, tat er nicht.  © Basis Bibel, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, 2023

Wenn sich Politiker zu einem Gespräch treffen, nennt man das ein Gipfeltreffen, sogar dann, wenn das Treffen auf dem flachen Land stattfindet. Es ist die Bedeutung dieser Zusammenkunft, die den Namen rechtfertigt. Auf Gipfeltreffen wurde und wird über das Wohl und Wehe von Ländern, über Krieg und Frieden, über Freiheit und Unfreiheit entschieden. Wichtige Gipfeltreffen werden aufwändig vorbereitet. Wehe dem, der im Februar in München zutun hat, wenn die Sicherheitskonferenz stattfindet. Auch das ist ein Gipfeltreffen. Das Stadtviertel mit dem Hotel, in dem die hohen Herrschaften zusammenkommen, ist abgeriegelt. Gullydeckel werden versiegelt. Die für die Sicherheit der Teilnehmer am Gipfeltreffen Verantwortlichen atmen auf, wenn alles vorbei ist, ohne Zwischenfälle oder Anschläge.
Auch unser Predigtabschnitt heute handelt von einem Gipfeltreffen im buchstäblichen und im übertragenen Sinn. Und auch hier hat es am Ende ein Aufatmen gegeben. Es war Mose, der aufatmen konnte. Er konnte den Untergang seines Volkes abwenden. Der war im Grunde beschlossene Sache. Gott war fertig mit seinem Volk. Tief enttäuscht war er und verletzt. Er wollte sich eine neues Volk suchen, mit Mose an der Spitze. Ein Volk, das seiner Liebe würdig war.
Was war geschehen? Wir kennen die Geschichte. Sie ist uns oft genug erzählt worden. Mose hat sein Volk verlassen, um auf dem Berg Sinai die Gebote in Empfang zu nehmen. Die Israeliten warteten unten. Was hatten sich bis jetzt nicht schon alles erlebt. Durch das Meer sind sie  trockenen Fußes gezogen. Die Schreie der Soldaten müssen ihnen noch in den Ohren geklungen haben. DIe hatte sie verfolgt, um sie nach Ägypten zurückzubringen. Ertrunken sind sie, als die Wassermassen zurückkehrten, während Israel trockenen Fußes das sichere Ufer erreicht hatte. In der Wüste hatte Gott sie vor dem Schlimmsten bewahrt, sie wurden mit Wachteln und Manna versorgt und mit frischem Quellwasser aus dem Felsen, vor dem Schwert kriegerischer Stämmen sind sie bewahrt geblieben und ebenso vor dem Biss giftiger Schlangen. Jetzt, am Gottesberg, sollte Mose die Gebote empfangen. Doch er allein sollte deshalb auf den Berg steigen. Das Volk sollte unten bleiben und warten.
Zugegeben, es war schon eine Geduldsprobe. Tage, Wochen zogen ins Land und von Mose keine Spur. Was, wenn er nicht mehr wiederkommt? Wer führt uns dann an? Die Isareliten bekamen es mit der Angst zu tun. „Wir brauchen Sicherheiten“, riefen sie und gingen zu Aaron, dem Bruder des Mose. „Aaron, gib uns einen Gott!“ Was für ein vermessener Wunsch! Doch Aaron war schwach und ängstlich. Was sollte er auch den Israeliten sagen? Er sammelte also den ganzen Schmuck der Frauen ein und ließ ein goldenes Kalb daraus gießen. „Da habt ihr euren Gott! Den könnt ihr  anschauen können und anfassen!“ Sie „verwandeln die Herrlichkeit ihres Gottes in das Bild eines Ochsen der Gras frisst,“ hat der Beter des 106. Psalms zu all dem gesagt.
Ist es ein Wunder, dass Gott nichts mehr wissen will von seinem Volk. Aus! Vorbei!  „Ein halsstarriges Volk ist das,“ hören wir Gott sagen. Mose soll ja nicht wagen, ihn umzustimmen. „Das Maß ist voll. Ich will es vernichten! Ich will mit deinem Volk nichts mehr zu tun haben.“ Aber Mose fällt ihm ins Wort. „Nein! Sag nicht, dass es mein Volk ist. Gott, es ist dein Volk!“ Daran erinnert er Gott. „Es ist dein Volk. So viel hast du dafür getan. Soll jetzt alles umsonst gewesen sein? Sollen die Feinde deines Volkes jetzt doch noch triumphieren und hämisch sagen: Weit haben sie es also gebracht, bis in die Wüste! Dort hat sie ihr eigener Gott niedergestreckt! Soll so alles zu Ende gehen? Denk doch an das, was du uns allen versprochen hast. Denk doch an deinen Schwur, den du unseren Vätern gegeben hast, Abraham, Isaak und Jakob. Du warst es doch, der ihnen versprochen hat: ich will dieses Volk groß werden lassen. So zahlreich, wie die Sterne am Himmel sollen sie sein. Und das ganze heilige Land will ich in  ihren Besitz geben ... Soll das alles mit ihren Gebeinen im Wüstensand vertrocknen?“  So entschlossen trat Mose für sein Volk ein. Er hat die Hände nicht in den Schoß gelegt. Er fiel Gott in den Arm und wehrte den Todesstoß durch seine Fürbitte ab. „Da hatte der Herr Mitleid mit seinem Volk. Das Böse, das er ihm angedroht hatte, tat er nicht,“ lesen wir in der Bibel.
Rogate! Betet! Dazu ruft uns der Sonntag auf. Beten bedeutet nicht, die Hände in den Schoß zu legen. Beten bedeute sein Herz vor Gott legen und mit dem eigenen Herzen die Angelegenheiten, die einem am Herzen liegen, die Menschen, die man liebt, das Volk, zu dem man gehört und sogar die Menschen, mit denen man sich schwer tut. Beten kann anstrengend sein und herausfordernd, wie uns das Gipfeltreffen Mose mit seinem Gott zeigt. Beten kann ein zähes Ringen mit Gott sein. Beten kann bedeuten, Gott an seine Verheißungen zu erinnern, so wie Mose das getan hat. Ich glaube, Gott will das so. Er will uns prüfen, ob wir es ernst meinen. Schließlich heißt es, „des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernsthaft ist.“ Was hat Mose dazu gebracht, so energisch für sein Volk einzutreten? ich glaube, er konnte nicht aufhören, sein Volk zu lieben. Trotz der Schuld, die es auf sich geladen hatte. Gerade deswegen bat er Gott für sie. „Du kannst sie doch auch nicht umbringen...“ appellierte er Gott an. „Du liebst sie doch auch noch. Trotz allem, was sie dir angetan haben.“ Er appellierte an die Gnade, wir können auch sagen: an die Liebe, die sich immer noch regt, unter dem Zorn. An die Liebe, die noch immer da ist, unter der Enttäuschung und der Bitterkeit über die erlittene Untreue. So rettete Mose seinem Volk das Leben. Durch sein mutiges Beten.
Deshalb gilt auch heute, wer betet, legt seine Hände nicht in den Schoß. Er kann damit Leben retten. Wenn ich die Geschichte vom Gipfeltreffen des Mose mit Gott hören, wenn ich mir vorstelle, wie er im Gebet mit Gott regelrecht ringt, dann muss ich immer auch an ein Gedicht denken, dass Reinhold Schneider geschrieben hat. Das war ein Dichter, der von 1903 bis 1958 lebte und mit seinem Werk im 3.Reich dem konservativ christlichen Widerstand geprägt hat. Aus der Zeit des Vorabends zum 2. Weltkrieg stammt ein Sonett, in dem es heißt:  „Allein den Betern kann es noch gelingen, das Schwert ob unsern Häuptern aufzuhalten  und diese Welt den richtenden Gewalten durch ein geheiligt Leben abzuringen.“
Das will ich beherzigen, wenn ich die Zeitung aufschlage und die Berichte lese über den Zustand, in dem sich die Welt befindet, über den Streit und die Angst, die Unzufriedenheit und die Sorgen, die das Klima in unserem Land prägen. Ich denke, das gehört zu unserem Auftrag, ja, zu unserem Beruf. Nicht umsonst sagt Luther, dass Beten das Handwerk des Christen sei. Wir haben den Auftrag, für die Welt zu beten, für die Regierenden, für alle, die Verantwortung tragen. Die Geschichte von Mose hat uns gezeigt, wie das aussehen kann, wenn Beter diese Welt den richtenden Gewalten abringen. Vielleicht sind wir jetzt beunruhigt. Weil wir eben nicht wie Mose sind, weil wir uns oft schwach fühlen und weil es oft den Anschein hat, als ob wir keinen Erfolg haben. Schließlich hat das Gebet auch den 2. Weltkrieg nicht verhindert. Dennoch halte ich daran fest. Unser Auftrag ist das Gebet, vor allem! Wer weiß, wieviel Unheil durch das Gebet nicht dennoch abgewendet worden ist.?
Rogate! Betet! Das ist euer Auftag, liebe Christenmenschen. Das ist der Auftrag der Kirche. Beten bedeutet, die Welt mit ihren Menschen, mit ihren großen und kleinen Nöten vor Gott zu bringen. Wenn ich bete, denke ich an die vielen Menschen, die mir in den Sinn kommen. Ich nenne ihre Namen und vertrauen sie Gottes Barmherzigkeit an. Ich traue dem Gebet viel zu. Ich denke es wird aufgenommen in die große Fürbitte mit der Christus für uns eintritt bei Gott. Ich glaube  an einen gnädigen Gott, der mein Gebet hört und der mich nicht fallen lässt. Ich glaube daran, weil Jesus Christus mich dazu ermutigt. Er ermutigt mich zum Gebet, zur Fürbitte, zum Dank. Er lehrt mich, Gott Vater zu nennen, Vater mit einem zärtlichen Unterton. Er lehrt mich, an einen Gott zu glauben, der nicht aufhören kann, die Welt zu lieben, die Welt, deren Teil ich bin. Gott meint es gut mit mir. Auch, wenn ich ihn nicht immer verstehe. Das schenkt mir neue Kraft und macht mir Mut zum Beten. Amen.
© Pfarrer Stefan Köttig, 5. Mai 2024